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Wahrsagen

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Was ist Wahrsagerei?

Als Wahrsagen oder Wahrsagung werden zahlreiche Praktiken und Methoden zusammengefasst, die dazu dienen sollen, zukünftige Ereignisse vorherzusagen und gegenwärtige oder vergangene...

Können Wahrsager die Zukunft vorhersagen?

Ob Wahrsager tatsächlich zukünftige Ereignisse vorhersagen können, ist seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Den Glauben an die divinatorischen Künste, welche...

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Wahrsagen

 

 

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Die Wahrsagerin. Gemälde von Michail Alexandrowitsch Wrubel, Tretjakow-Galerie, Moskau (1895)

Als Wahrsagen oder Wahrsagung, abwertend Wahrsagerei, werden zahlreiche Praktiken und Methoden zusammengefasst, die dazu dienen sollen, zukünftige Ereignisse vorherzusagen und gegenwärtige oder vergangene Ereignisse, die sich der Kenntnis des Fragenden entziehen, zu ermitteln. Die Beschreibung der Wahrsagung fällt in die Fachbereiche Kulturgeschichte, Religionswissenschaft oder Ethnologie. In der Literatur sind die Bezeichnungen Mantik (von altgriechisch μαντικὴ τέχνη mantikḗ téchnē ‚Kunst der Zukunftsdeutung‘) und Divination (von lateinisch divinatio ‚Wahrsagung‘, eigentlich ‚Erforschung des göttlichen Willens‘) gebräuchlich. Unter Divination versteht man nicht nur Enthüllung der Zukunft, sondern jede Auslegung von Zeichen der Götter.

Ob Wahrsager tatsächlich zukünftige Ereignisse vorhersagen können, ist seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Den Glauben an die divinatorischen Künste, welche bereits von den Kirchenlehrern als heidnische Relikte abgelehnt[1] wurden, rechnen Kirchen und Theologen dem Aberglauben zu. Die katholische Kirche und maßgebliche evangelische Theologen lehnen das Wahrsagen daher entschieden ab und argumentieren, es handele sich dabei um eine Anmaßung des Menschen gegenüber Gott und sei mit dem christlichen Glauben unvereinbar.

Begriffsbestimmung und Klassifikation

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Iwan-Kupala-Tag, Wahrsagung über die Kränze. Ölgemälde von Semjon Leonidowitsch Koschin (2009)Nepal, Kathmandu, Wahrsager beim Handlesen

Im Unterschied zu Prognostikern, die sich auf normale, für jeden grundsätzlich einsichtige Kausalzusammenhänge berufen, beanspruchen Wahrsager, ein den Unkundigen verborgenes Wissen über okkulte Zusammenhänge zu besitzen, das ihnen den Blick in die Zukunft ermögliche. Manche Wahrsager behaupten, einen unmittelbaren intuitiven Zugang zu Wissen über die Zukunft zu haben, auch „Zweites Gesicht“ oder Präkognition genannt, andere interpretieren Zeichen, die sie als Symbole für Künftiges betrachten. Bei der Zeichendeutung lassen sich zwei Arten unterscheiden: Entweder deutet der Wahrsager von ihm nicht beeinflusste Ereignisse oder Sachverhalte als Anzeichen, aus denen Zukünftiges herausgelesen werden könne, oder er verursacht selbst nach bestimmten Regeln ein Ereignis, dessen Verlauf oder Ergebnis er dann als verschlüsselte Information über Zukünftiges auffasst und auslegt. Zum ersten Typus gehören beispielsweise die Deutung von Gestirnkonstellationen (Astrologie) und ungewöhnlichen Wettererscheinungen oder das Handlesen (Chiromantie), zum zweiten Typus das Kartenlegen oder die Wurforakel, bei denen aus dem Wurf eines Gegenstands (Würfel, Knochen, Eier beim Eierorakel und andere) die Antwort auf eine gestellte zukunftsbezogene Frage gelesen wird. Die Unterscheidung zwischen „natürlicher“ (unmittelbarer) und „künstlicher“ (auf Zeichendeutung durch Fachleute beruhender) Erlangung von Zukunftswissen wurde schon in der antiken Divinationstheorie vorgenommen.[2] Eine etwas andere, besonders an den schamanischen Praktiken ethnischer Religionen orientierte Klassifikation unterscheidet zwischen intuitiver Wahrsagung, bei der sich der Wahrsager ausschließlich auf ein intuitiv seinem eigenen Geist entnommenes Wissen beruft, „Besessenheitswahrsagung“, bei der Götter oder andere körperlose Wesen zeitweilig von einem Körper Besitz ergreifen sollen, um über ihn Botschaften zu übermitteln, und „Weisheitswahrsagung“, bei welcher der Wahrsager den Anspruch erhebt, die Basis seines Zukunftswissens seien ihm bekannte objektive Gesetzmäßigkeiten, aus denen er im Einzelfall jeweils zutreffende Folgerungen ableite.[3]

Vom Wahrsagen unterschieden wird die religiöse Prophetie oder Weissagung. Dabei handelt es sich um zukunftsbezogene Behauptungen, für die eine unmittelbare göttliche Inspiration in Anspruch genommen wird. Der Prophet oder Weissagende tritt als beauftragter Verkünder eines göttlichen Plans auf. Weissagung betrifft gewöhnlich Schicksale von Völkern oder der ganzen Menschheit, Wahrsagung Schicksale von Individuen oder kleineren Gruppen.[4] Die Abgrenzung der Weissagung vom Wahrsagen ist jedoch nicht immer eindeutig möglich und unpräziser Sprachgebrauch ist häufig. Ursprünglich und bis ins 16. Jahrhundert verstand man unter einem „Wahrsager“ oder „Weissager“ (althochdeutsch wīz(z)ago, altsächsisch wārsago, mittelhochdeutsch wārsage) einen Propheten, erst in der Neuzeit erhielt das Wort „Wahrsager“ seine heutige Bedeutung.[5]

Weltanschauliche Grundlage

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Die Wahrsagerin (La diseuse de bonne aventure), Gemälde von Jean-Louis Populus (1807–1859)

Den verschiedenen Formen von Wahrsagung liegt ein Weltbild zugrunde, das von einer einheitlichen Struktur des gesamten Kosmos ausgeht, die immer und überall auf den gleichen qualitativen Prinzipien beruht. Die Welt gilt als so aufgebaut, dass ihre Teile analog strukturiert sind und einander spiegeln. Es wird angenommen, dass zwischen räumlich und zeitlich getrennten Bereichen verborgene, aber erkennbare gesetzmäßige Zusammenhänge oder Analogien bestehen.[6] Phänomene unterschiedlicher Art, zwischen denen kein kausaler Zusammenhang aufgezeigt werden kann, werden auf ein einheitliches Organisationsprinzip der Weltordnung zurückgeführt und dadurch miteinander verknüpft. So wird ein strenger Parallelismus zwischen Kosmischem bzw. Himmlischem und Irdischem bzw. Menschlichem unterstellt. Im Rahmen dieses Weltbilds geht man davon aus, dass auch zwischen Wahrnehmbarem und (noch) Verborgenem detaillierte Analogiebeziehungen bestehen. Die Erkenntnis des Wesens dieser Beziehungen soll es ermöglichen, das Verborgene – auch Zukünftiges – zu erfassen. Diese Annahme bildet die Grundlage für den Anspruch des Wahrsagers, zutreffende Voraussagen machen zu können; denn er behauptet, die einschlägigen Gesetzmäßigkeiten zu kennen. In manchen Fällen wird davon ausgegangen, dass das Zukunftswissen zwar nur einer göttlichen Instanz unmittelbar zugänglich sei, aber von der Gottheit einem Menschen über Visionen oder Träume offenbart werde.[7]

Meist gilt die Zukunft nicht als unabänderlich feststehend. Vielmehr soll die Wahrsagung insbesondere dem Zweck dienen, drohendes Unheil frühzeitig zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen abzuwenden. Dennoch führen die weltanschaulichen Prämissen, von denen die Wahrsagung ausgeht, zu philosophischen Problemen, die mit der Frage nach Determiniertheit (Vorherbestimmtsein, Zwangsläufigkeit) und Willensfreiheit zusammenhängen. Ein für Aussagen über die Zukunft erhobener Wahrheitsanspruch setzt voraus, dass schon in der Gegenwart feststeht, dass etwas zwangsläufig eintreten wird. Demnach ist nicht nur das vom Wahrsager Vorausgesagte determiniert, sondern auch der Umstand, dass der Wahrsager konsultiert wird. Diese Annahme führt zu einer fatalistischen oder deterministischen Philosophie und bedroht die Vorstellung der Willensfreiheit. Das Problem kann umgangen werden, wenn angenommen wird, dass das Vorausgesagte nicht unabänderlich sei, sondern ein durch Wahrsagung Gewarnter sein künftiges Schicksal noch beeinflussen könne. Damit wird aber der Wahrheitsanspruch der Wahrsagung mehr oder weniger stark relativiert und eingeschränkt und eine Überprüfung ihrer Richtigkeit verunmöglicht.[8]

Psychologische Aspekte

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Die Wahrsagerin. Ölgemälde eines unbekannten deutschen Malers, 18. Jahrhundert

Der Sozial- und Religionshistoriker Georges Minois hat eine umfassende Darstellung der Geschichte der Wahrsagung vorgelegt. Nach seinen Angaben sind 25 verschiedene Vorhersagemethoden gang und gäbe, „von der Kristallkugel bis zum Kaffeesatz, von der Geomantie bis zur Numerologie, von der Chiromantie bis zur Kartomantie“.[9] Minois erklärt die andauernde weite Verbreitung der Praktiken sozialpsychologisch. Den Hauptgrund für die anhaltende Beliebtheit des Wahrsagens in der Moderne sieht er nicht im Bedürfnis, Wissen über die Zukunft zu erlangen, sondern in der sozialen Funktion der Beziehung zwischen dem Wahrsager und seinem Orientierung suchenden Kunden. Der Kunde suche in unruhigen und unbeständigen Zeiten tröstlichen menschlichen Kontakt. Eine Vorhersage sei niemals neutral, sondern es gehe um die Thematisierung von Absichten, Wünschen und Befürchtungen des Kunden und um einen Anstoß zum Ergreifen von Maßnahmen. Die Vorhersage impliziere stets eine Anweisung zum Handeln, sie sei untrennbar mit den Schritten verknüpft, zu denen sie führe. Einer Vorhersage, die „hilft, erleichtert, beruhigt und zum Handeln anregt“, komme die Funktion einer Therapie zu.[10]

Ähnlich urteilt der Religionshistoriker Walter Burkert. Er meint, der „Gewinn an Lebensmut, den die ‚Zeichen‘ als Entscheidungshilfe einbringen“, sei „so beträchtlich, dass gelegentliche Falsifizierung durch Erfahrung dagegen nicht aufkommt“[11], und kommt zum Ergebnis, dass „die Entscheidungshilfe, die Stärkung des Selbstvertrauens wichtiger ist als eigentliches Vorherwissen“[12].